CrossEnergy
Die Energiewende stellt viele Netzteilnehmer vor neuen Herausforderungen. Gerade Verteilnetzbetreiber sind sehr stark betroffen, da die Anzahl der dezentralen Erzeugungsanlagen ansteigt und die Verbraucherstrukturen sich aufgrund höherer Sektorenkopplung durch beispielsweiße Wärmepumpen oder E-Fahrzeugen wandeln, was eine stärkere Ausreizung der entsprechenden Netzabschnitte zur Folge hat. Hierzu benötigen Verteilnetzbetreiber technisch sinnvolle und gleichzeitig wirtschaftlich günstige Lösungen, um das Stromnetz in zulässigen Grenzen stabil zu halten. Um die Möglichkeiten eines Netzausbaus bzw. -optimierung bei der Vielzahl an vorhandenen Lösungsvarianten darzustellen, entwickelte das Forschungsteam im EU-Projekt CrossEnergy eine erste Version eines Entscheidungsunterstützungssystems, welches die genannte Problemstellung bedient. Dabei wurden sowohl klassische als auch innovative Netzplanungsmaßnahmen eingebunden. Als Fallbeispiele und für eine praxisnahe Netzplanung wurden reale Netze sowohl auf tschechischer als auch auf bayerischer Seite hinzugezogen.
Das wissenschaftliche Konsortium setze sich aus der Westbömischen Universität in Pilsen mit Fokus auf den Netzbetrieb, der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg mit Fokus auf der Netzplanung und der Technischen Hochschule Deggendorf mit Fokus auf Energie- und Prognosedaten zusammen. Gemeinsam mit Interessenten aus der Industrie (Bayernwerk, CEZ) konzentrierte sich das Forschungsteam bei der Entwicklung des Unterstützungssystems auf die Energieinfrastruktur der länderübergreifenden Netzregion Bayern-Tschechien für eine zukünftige Entwicklung (2030/40/50). Zur Durchführung des Vorhabens wurde ein Gesamtvolumen von ca. 1 Mio. Euro durch die europäische Union und dem Förderprogramm Ziel ETZ zur Verfügung gestellt.
Ausgewählte Projektergebnisse
- Für das Netzplanungsmodul im Entscheidungssunterstützungstool wurden klassische Netzausbaumethoden wie der Kabeltausch, die Parallelverkabelung oder auch der Trafotausch umgesetzt. Daneben wurden auch innovative Lösungsansätze wie die Q-Regelung von DEA oder der Einsatz von RONT integriert und eine Betrachtung von spannungsebenenübergreifenden Planungsansätzen berücksichtigt. Das Ziel der Methoden ist die automatisierte Auflösung von spannungs- oder auslastungsbedingten Netzproblemen, die z.B. durch veränderte Last- oder Erzeugungsstrukturen auftreten.
- Die automatisierten Netzplanungsmethoden wurden im Netzberechungsprogramm PowerFactory umgesetzt und bereits vordefinierte Funktionen wie z.B. Lastflussberechnungen oder Quasi-dynamische Simulationen integriert. Im Fokus stand dabei die Allgemeingültigkeit der Routinen, um mit verschiedenen Netzstrukturen, Spannungsebenen und Netzproblemstellungen umgehen zu können. Für die Konzipierung und Implementierung der Methoden wurden Heuristiken aus der Netzplanung und mathematische Optimierungsansätze verwendet.
- Um Szenarien auf reale Netzgebiete anwenden und Berechnungen durchführen zu können, werden Netzmodelle auf Basis realer Netzdaten benötigt. Deshalb wurde im Projekt auch ein Programm entwickelt, welches externe Netz- und Messdaten einliest und automatisiert ein entsprechendes Netzmodell in PowerFactory erstellt. Für den Import wurden auch einfache Plausibilitätsprüfungen berücksichtigt und Defaultdaten hinterlegt, um mit Datenlücken umgehen zu können.
- Neben einem aktualisierten Netzmodell als Output ermittelt das Netzplanungstool auch technische sowie wirtschaftliche Kennzahlen, um unterschiedliche Möglichkeiten der Netzausbau- und -optimierungsmaßnahmen bewerten zu können. Auf dieser Basis soll der Netzplaner dann entscheiden, welche Lösungsoption bzw. -optionen für seinen Fall sinnvoll sind und in der Praxis durchgeführt werden sollen.
Ausführliche Projektbeschreibung
Ziel des Netzplanungstools war es, Nutzern wie beispielsweiße Netzbetreibern aufzeigen zu können, welche Möglichkeiten es gibt Netze zu ertüchtigen und die statische Stabilität zu wahren, sprich die Spannungs- und Auslastungsgrenzen nicht zu überschreiten. Diese Notwendigkeit ergibt sich aufgrund der Menge an möglichen Lösungsoptionen (siehe Abbildung 1) und den teilweise noch fehlenden Erfahrungen der Verteilnetzbetreiber mit einigen Netzplanungsmaßnahmen. Deshalb wurde das Netzplanungstool mit konventionellen und innovativen Netzplanungsmethoden (siehe Abbildung 2) ausgestattet, welche über eine übergeordnete Routine gesteuert werden. Dabei läuft der ganze Prozess automatisiert: von dem Einlesen der Netzdaten, zum Aufbau des Netzmodells, weiter zum berechnen der möglichen Netzentwicklungsoptionen, bis hin zum Export der Ergebnisse.
Der automatisierte Einsatz von Netzplanungsmaßnahmen legt eine Allgemeingültigkeit und Robustheit der entwickelten Routinen zu Grunde. Damit soll sichergestellt werden, dass die Algorithmen mit jeglichen Problemstellungen, Verteilnetzstrukturen und Spannungsebenen umgehen können. Auch ungewöhnliche Netzsituationen müssen korrekt analysiert und bei Spannungs- oder Auslastungsverletzungen gelöst werden. Mit Abbildung 3 soll dies verdeutlicht werden: bei einem ungewöhnlichen Spannungsverlauf entlang eines Netzstrangs (zunächst eine Anhebung und dann eine Absenkung der Spannung) und einem auftretenden Unterspannungsproblem ist es wichtig, dass z.B. ein Leitungstausch an der richtigen Stelle durchgeführt wird. Würde nun der Leitungsabschnitt mit der größten Spannungsdifferenz zwischen Knoten 2 und 3 gewählt, würde das zu einer Vergrößerung des Unterspannungsproblems führen, anstatt das Problem zu lösen. Deswegen muss in diesem Fall ein Abschnitt mit negativer Spannungsdifferenz ausgetauscht werden, um den Netzstrang wieder in den genormten Bereich der Spannung zu heben.
Neben klassischen Netzausbaumaßnahmen können auch Netzoptimierungsmaßnahmen hinzugezogen werden, um Spannungsprobleme zu lösen. Ein Beispiel dafür ist die Q-Regelung von DEA in betrachteten Netzgebieten. Neben den Vorgaben der technischen Anwendungsrichtlichen (TAR 4105 und 4110), wann und wie Anlagen Q-geregelt sein sollen, ist auch zu definieren, welche der Q-fähigen Anlagen geregelt werden sollen. Einfache Heuristiken aus der Praxis setzen eine generelle Vorhaltung von Blindleistung vor. Im Projekt jedoch wurde auch eine Routine entwickelt, die eine minimale Anzahl Q-geregelter DEA ermittelt, um auftretende Spannungsprobleme zu lösen. Abbildung 4 illustriert dabei pro Iterationsschritt die Anzahl der Q-geregelten DEA in Prozent und die resultierende Spannung, bis schließlich eine minimale Anzahl an Anlagen im Netz quantifiziert wird, um das aufgetretene Spannungsproblem zu lösen. Dies kann zukünftig relevant werden, falls Netzbetreiber Anlagenbetreiber theoretisch für ihre Vorhaltung bzw. Einspeisung von Blindleistung vergüten müssen.
Nach der Simulation von definierten Szenarien eines Netzgebiets und der automatisierten Lösung von statischen spannungs- und auslastungsbedingten Problemen im Netz mittels der definierten Netzplanungsmaßnahmen, liefert das Netzplanungsmodul Varianten zurück, wie das Netz stabil gehalten werden kann. Das heißt, anstatt eine beste Lösung für die Netzertüchtigung auszugeben, wird ein technischer und wirtschaftlicher Vergleich zwischen den Netzplanungsmaßnahmen dargelegt, z.B. die direkte Gegenüberstellung der Verlegung von Parallelleitungen oder der Integration von RONT bei auftretenden Spannungsproblemen. Mit diesem Ergebnis soll nachgelagert der Verteilnetzbetreiber entscheiden, welche der Lösungsvarianten für sein Netzgebiet optimal ist, da er weitere Entscheidungsfaktoren, wie zum Beispiel Lagerkosten, Verfügbarkeit, Personalkosten, etc. abschätzen und für die Entscheidungsfindung berücksichtigen kann.
Da in diesem Forschungsprojekt eine erste Version des Entscheidungsunterstützungssystems und dem von der OTH entwickelten Netzplanungsmodul erarbeitet wurde, wurde mit dem Wissen, dass später weitere Funktionen und Routinen dazu kommen können, darauf geachtet, dass die gesamte Programmarchitektur modular aufgebaut ist. Dabei ist es denkbar weitere Netzplanungsmaßnahmen zum Netzplanungsmodul zu ergänzen, aber auch komplexere Berechnungen durchzuführen, z.B. die Berücksichtigung von geographischen Gegebenheiten bei der Kostenrechnung für leitungsbasierte Erweiterungen.