Hintergrund des Projektes sind die zunehmenden Herausforderungen für Stromnetze durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energiequellen. Um Verteilungs- und Übertragungsnetze auch in Zukunft sicher betreiben zu können, müssen bestehende Konzepte des Netzbetriebs und der Netzplanung angepasst und neue entwickelt werden. Insbesondere das Spannungsfeld des Blindleistungsmanagements wird sich in den nächsten Jahren stark verändern.
Denn hier zeichnen sich gegensätzliche Trends ab. Einerseits entfallen herkömmliche Blindleistungsquellen in Form konventioneller Kraftwerke. Andererseits wird der Bedarf an Blindleistung zusätzlich steigen und aufgrund der fluktuierenden Einspeisung von Wind- und PV-Kraftwerken ebenfalls stärkeren Schwankungen unterworfen sein. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass Blindleistung nur sehr eingeschränkt über weite Distanzen transportiert werden kann und daher lokal bereitgestellt werden muss. Insgesamt rechnen die Übertragungsnetzbetreiber daher mit sehr hohen Investitionen, um diese Herausforderungen in der Zukunft zu meistern.
Genau hier setzt das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit ca. 1,9 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt Q-INTEGRAL an. Mit einer ganzheitlichen Untersuchung des Themas Blindleistung sollen drängende Fragen beantwortet und kostengünstige Alternativen untersucht werden. Die Potenziale der verschiedenen Blindleistungserbringungsoptionen auf Verteilungs- und Übertragungsnetzebene sollen technisch und wirtschaftlich analysiert und nutzbar gemacht werden.
Die Technische Universität Braunschweig (TU Braunschweig) entwickelt hierfür ein aktives Blindleistungsmanagement bei dem Blindleistungsquellen in Form von virtuellen Kraftwerken in den Netzen gesteuert werden. Das zu entwickelnde Blindleistungsmanagement verfolgt einen spannungsebenenübergreifenden Ansatz, bei dem Blindleistungsflüsse bei Bedarf über Netzbetreibergrenzen hinweg gesteuert und optimiert werden. In das Blindleistungsmanagement sollen vor allem Quellen eingebunden werden, die bereits heute in den Netzen verfügbar und noch nicht in das Blindleistungsmanagement eingebunden sind. Hierdurch wird ein Optimierungspotential hinsichtlich des Ausbaus von notwendigen Kompensationsanlagen prognostiziert. Dieses Potential soll durch umfassende betriebs- und volkswirtschaftliche Untersuchungen analysiert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Durch die bereits beschriebenen Entwicklungen und die Nutzung alternativer Blindleistungsquellen wie Industriekompensationsanlagen und erneuerbare Erzeugungsanlagen werden sich die Blindleistungsflüsse im Netz insgesamt ändern. Dies wird Auswirkungen auf die Schutzkonzepte der Netze haben. Das Frauenhofer-Institut für Solar Energiesysteme ISE wird diese Beeinflussungen untersuchen und gegebenenfalls neue Schutzkonzepte entwickeln. Ein großer Vorteil erneuerbarer Energiequellen ist die Geschwindigkeit, mit der diese Blindleistung bereitstellen können. Dies kann jedoch zu Instabilitäten in den Netzen führen. Zur Vermeidung dieser wird das Fraunhofer ISE die Regeldynamiken der Quellen analysieren und die Auswirkungen unterschiedlicher Dynamiken auf die Netzstabilität untersuchen.
Um Blindleistung bereits in der Netzplanung gezielt zu berücksichtigen, ist es das Ziel der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg), einen Netzplanungsprozess zu entwickeln, mithilfe dessen der Blindleistungsaustausch zwischen den Netzbetreibern langfristig volkswirtschaftlich optimal geplant werden kann. Dabei sollen auch verschiedene Blindleistungsbereitstellungsoptionen (z. B. auch EE-Anlagen und betriebliche Kompensationsanlagen) technoökonomisch analysiert und in den Prozess mit eingebunden werden. Dazu wird in Zusammenarbeit mit der KBR Kompensationsanlagenbau GmbH ein internes Blindleistungsmanagement für Betriebe entwickelt und in einem Feldtest umgesetzt.
Für die hohe Relevanz der Forschung und der Ergebnisse sorgt ein intensiver Austausch mit den beteiligten Industriepartnern. Mit der Mitwirkung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH und der drei großen unterlagerten Verteilungsnetzbetreiber WEMAG Netz GmbH, E.DIS Netz GmbH und den Thüringer Energienetze GmbH & Co. KG sind großflächige und umfangreiche Untersuchungen des ostdeutschen Stromnetzes möglich. Die Besonderheit dieser Netzregion liegt im überproportional hohen Anteil von über 56 % erneuerbarer Energiequellen in den Netzen in 2018, weshalb die Netzbetreiber bereits heute Entwicklungen im Netz beobachten, die in Deutschland erst in einigen Jahren zu sehen sein werden. Bei der Analyse und Umsetzung der Schutzkonzepte steht das Fraunhofer ISE in engem Austausch mit der Siemens AG und wird vom Reglerhersteller Scada International A/S bei der Untersuchung von Dynamiken unterstützt.
Durch das Auftakttreffen am 20. Mai 2019 an der TU Braunschweig ist ein gelungener Einstieg für das Projekt und die Zusammenarbeit geschaffen. Die beteiligten Partner freuen sich auf die nächsten drei Jahre intensive Forschung und Zusammenarbeit.