Durch die in Deutschland eingeleitete Energiewende ergibt sich ein tiefgreifender Strukturwandel unseres Elektrizitätsversorgungsnetzes. Die installierte Erzeugungsleistung verschiebt sich von zentralen konventionellen Großkraftwerken in den höheren Netzebenen hin zu dezentralen erneuerbaren Energieanlagen in niedrigeren Spannungsebenen. Durch die daraus resultierenden bidirektionalen Lastflüsse, volatilen Einspeisecharakteristiken und erhöhten Leistungsgradienten ergeben sich große Herausforderungen für einen sicheren und stabilen Betrieb der Stromnetzinfrastruktur. Aus diesem Grund müssen bestehende Konzepte für den Netzbetrieb und die Netzplanung weiterentwickelt werden. In diesem Zusammenhang bedarf es insbesondere tiefgreifende Veränderungen des Blindleistungsmanagements. Abbildung 1 zeigt die bis einschließlich 2018 installierten konventionellen Blindleistungskompensationsanlagen in Deutschland.
Es ist zu erkennen, dass insgesamt und insbesondere in den östlichen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland überwiegend induktive Kompensationsanlagen geplant sind. Ursache ist, dass der wachsende Verkabelungsgrad in Nieder- und Mittelspannungsnetzen und die generelle Bevorzugung von Kabeln beim Netzausbau bereits heute zu einer Verschiebung der Betriebsbereiche der Netze in den kapazitiven Bereich führen. Besonders in Schwachlastfällen kann dies zu einem erheblichen Kompensationsbedarf führen, der heutzutage oftmals an die vorgelagerten Netzebenen weitergereicht wird. Die im Auftrag des BMWi und von der FENES erstellte Blindleistungsstudie hat gezeigt, dass im Übertragungsnetz anteilsmäßig der größte Blindleistungsbedarf besteht und dieser weiter ansteigen wird. Gleichzeitig entfallen mit der Verdrängung der Großkraftwerke essenzielle Blindleistungsquellen auf der Übertragungsnetzebene, wodurch hier in Zukunft enorme Blindleistungsdefizite entstehen werden. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten und zur Wahrung der Systemstabilität sollte künftig mehr Blindleistung aus dem Verteilungsnetz bereitgestellt werden. Um dies zu ermöglichen, müssen im Verteilungsnetz steuerbare, hochdynamische und wirtschaftlich konkurrenzfähige Blindleistungsquellen erschlossen werden.
Projektvorhaben
Vor diesem Hintergrund ist die übergeordnete Zielsetzung des Projektes die ganzheitliche Betrachtung des Spannungsfeldes „Blindleistung“. Die Potenziale der verschiedenen Erbringungsoptionen auf Verteilungs- und Übertragungsnetzebene sollen technisch und wirtschaftlich analysiert und nutzbar gemacht werden. Anschließend sollen diese in ein netzbetreiber- und spannungsebenenübergreifendes Blindleistungsmanagement eingebunden werden (vgl. Abbildung 2). Dabei sollen Methoden untersucht werden, um Blindleistungsbedarfe bereits in der Netzplanung zu berücksichtigen und volkswirtschaftlich optimal aufzuteilen.
Aufgaben der Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher
Das Ziel der Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher war, einen Prozesskonzepte und -ansätze zu entwickeln, um vorhandene Blindleistungsquellen bedarfsoptimal einzusetzen (in Abbildung 2 hellblau markiert) und neue, zusätzlich erforderliche Blindleistungskapazitäten im Netz technisch und wirtschaftlich optimal zu platzieren und zu dimensionieren (in Abbildung 2 orange markiert). Durch Lastfluss- und Ausfallsimulationen werden Stromflüsse in Netzmodellen nachgebildet, während die Knotenspannungen mittels Optimierungsalgorithmen innerhalb definierter Auslegungsgrenzen gehalten werden. So können rechnergestützte Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die dabei helfen sollen, Investitions- oder Einsatzentscheidungen bezüglich der erforderlichen Blindleistungskapazitäten zu treffen. Zusammen mit den projektbeteiligten ostdeutschen Übertragungs- und Verteilungsnetzbetreibern 50Hertz Transmission GmbH, E.DIS Netz GmbH, WEMAG Netz GmbH und TEN Thüringer Energienetze GmbH & Co. KG wurden die Konzepte praxisorientiert und netzbetreiberübergreifend entwickelt sowie in deren Netzregion angewendet.